2023 Online-Banking Rekordjahr bei Schadensfällen Das jedenfalls ist die -zugegebenermaßen ersteinmal- subjektive Beurteilung von Rechtsanwalt…
Sparkasse verhindert Verhandlung und nimmt Revision am Abend des 06.04.2011 überraschend zurück
Frankfurt am Main (06.04.2011) Auf alles war man für nächsten Dienstag, den 12.04.2011, in Karlsruhe eingerichtet. Schon vor Wochen wurde die Verhandlung aus einem normalen Gerichtssaal in das Foyer der Bibliothek des BGH verlegt, um Scharen von Zuschauern und Medienvertretern aus ganz Deutschland Raum zu bieten. Es stand der erste Prozess vor Deutschlands höchsten Zivilgericht in der causa Falschberatung mit „Lehman Brothers-Zertifikate“ an.
Bei dem unter BGH-Aktenzeichen XI ZR 85/10 geführten Verfahren ging es um die von LSS Leonhardt Spänle & Schröder Rechtsanwälte erstrittenen Entscheidungen des LG Frankfurt am Main – Urteil vom 31. August 2008 – 2-19 O 287/08 und OLG Frankfurt am Main – Urteil vom 17. Februar 2010 – 17 U 207/09 (veröffentlicht WM 2010, 613) zu sog. „Twin-Win-Zertifikaten“ (auch Schmetterlingszertifikate genannt) des Emittenten Lehman Brothers. Im Kern waren jedoch auch zahlreiche andere Zertifikate von Lehman Brothers betroffen, die die Tilgungsvariante „Ersatzzertifikat“aufweisen. Die Klägerin nimmt die beklagte Sparkasse aus abgetretenem Recht ihres Ehemanns auf Schadensersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung im Zusammenhang mit dem Erwerb von Zertifikaten der niederländischen Tochtergesellschaft der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers Holdings Inc. in Anspruch. Am 23. August 2007 rief ein Mitarbeiter der Beklagten den Ehemann der Klägerin in dessen Büro an und empfahl ihm die in seinem Depot befindlichen, in kleinen Stückzahlen gehaltenen Aktien zu verkaufen und von dem Erlös „Twin-Win-Zertifikate 8/2007“ der Emittentin Lehman Brothers Treasury Co. B.V. zu erwerben. Am Ende des Telefongesprächs, dessen Inhalt im Einzelnen streitig ist, erteilte dieser der Beklagten den Auftrag, sieben der empfohlenen Zertifikate zum Nennwert von jeweils 1.000 € für ihn zu erwerben. Diese Zertifikate sind an die Wertentwicklung des Dow Jones Eurostoxx 50-Index gebunden. Nach Ablauf des fünfjährigen Beobachtungszeitraums wird das Zertifikat zum Nominalwert zuzüglich der absoluten Wertentwicklung des Index zurückbezahlt und zwar unabhängig davon, ob die Wertentwicklung positiv oder negativ verlaufen ist. Dies gilt jedoch nur dann, wenn der Index während des gesamten Beobachtungszeitraums nicht auf 50% des Indexstandes zum 24. August 2007 absinkt oder diese Barriere unterschreitet. Tritt dies ein, so wird dem Anleger zum Laufzeitende kein Barbetrag ausgezahlt, sondern ein Ersatzzertifikat geliefert, das an der Wertentwicklung des Dow Jones Eurostoxx 50-Index teilnimmt und eine Laufzeit bis zum Jahr 2057 hat. Dieses Ersatzzertifikat hätte von der Emittentin ab dem Jahr 2014 jährlich gekündigt werden können, worauf der Ehemann der Klägerin nicht hingewiesen wurde.
Mit Insolvenz der Emittentin und der Investmentbank Lehman Brothers, die für die Rückzahlung der Zertifikate die Garantie übernommen hatte, wurden die erworbenen Zertifikate weitgehend wertlos. Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin – gestützt auf mehrere Beratungsfehler – die Rückzahlung von 7.000 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückübertragung der sieben Lehman-Zertifikate. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten blieb ohne Erfolg. Das Berufungsgericht hat zwar eine Beratungspflichtverletzung insoweit verneint, als die Beklagte nicht auf eine mögliche Insolvenz der Emittentin (Lehman Brothers Treasury Co. B.V.) oder der Garantin (Lehman Brothers Holdings Inc.) hingewiesen hat. Angesichts der positiven „Ratingnoten“, die die Emittentin bis fast zur Insolvenz gehabt habe, habe kein Zweifel an ihrer Zahlungsfähigkeit aufkommen müssen. Einen Beratungsfehler hat das Berufungsgericht jedoch darin gesehen, dass die Beklagte den Ehemann der Klägerin nicht darüber aufgeklärt hat, dass die Ersatzzertifikate, die der Anleger erhält, wenn die 50%-Barriere des Index während des Beobachtungszeitraums erreicht oder unterschritten wird, ab dem Jahr 2014 von der Emittentin gekündigt und fällig gestellt werden können. Durch diesen fehlenden Hinweis habe beim Anleger der unzutreffende Eindruck entstehen können, er könne zwischenzeitliche Kursverluste der bis zum Jahr 2057 laufenden Zertifikate „aussitzen“.
Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgte die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag bis zum 06.04.2011 weiter. Dann -ohne Vorankündigung und ohne, dass der BGH sich öffentlich geäußert hätte- nahm die verurteilte Frankfurter Sparkasse die Revision zurück und verhindert so die öffentliche Verhandlung.
Der Frankfurter Rechtsanwalt Matthias Schröder, der den Geschädigten in diesem Verfahren vertritt:
„Die Revisionsrücknahme der Sparkasse kommt für mich völlig überraschend. Die Resignation der Sparkasse kommt einem Sieg der Anleger gleich, auch wenn ich diesen Sieg gerne auf dem Spielfeld und nicht durch Aufgabe des Gegners erreicht hätte. Über die Motive der Frankfurter Sparkasse kann man nur spekulieren, aber kein Unternehmen bekommt gerne stellvertretend für eine ganze Branche von Deutschlands höchsten Richtern den Kopf gewaschen, wenn Tagesschau, Heute Journal und die Nachrichtenagenturen akkreditiert sind“.