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Schadensersatz für Inhaber von offenen Immobilienfonds

Rechtsanwalt Matthias Schröder hat sich als Autor des juris-PraxisReports Bank- und Kapitalmarktrecht eine Entscheidung des LG Frankfurt am Main besprochen. Lesen Sie die Besprechung in AUSZÜGEN.

„Im Zuge der Finanzkrise im Jahre 2008 haben zunächst zahlreiche offene Immobilienfonds Anteilsrücknahmen ausgesetzt, nachdem es zu solchen Aussetzungen schon vereinzelt im Jahr 2005 gekommen war. Anders als bei geschlossenen Immobilienfonds hat ein Anleger in offenen Immobilienfonds generell die Möglichkeit, bei Geldbedarf börsentäglich seine Anteile zum täglich veröffentlichten Rücknahmepreis zurückzugeben. Der Rücknahmepreis von Anteile an offenen Immobilienfonds ergibt sich aus den im Fonds enthaltenen Vermögensgegenständen, geteilt durch die Zahl der ausgegebenen Anteile, und wird börsentäglich veröffentlicht. Zu diesem Preis müssen die offenen Immobilienfonds die Anteile vom Anleger jederzeit zurücknehmen. Durch die Aussetzung der Rücknahme entfällt diese Möglichkeit. Der Anleger hat in diesem Fall bei Liquiditätsbedarf oder einem grundsätzlichen Veräußerungswunsch lediglich die Möglichkeit die Anteile über die Börse zu veräußern. Der in einem solchen Fall über die Börse zu erzielende Kurs wird in jedem Fall größere Abschläge enthalten, da das Faktum der Aussetzung und damit eine mangelnde Liquidität in den Kurs eingepreist wird. Der Branchenverband weist hierauf deutlich hin: „Sparer sollten dabei aber bedenken, dass Preisabschläge hier sehr wahrscheinlich sind. Das heißt: Beim Verkauf an der Börse bekommen Sparer oft weniger Geld, als sie bei den Auszahlungen der Fondsgesellschaft bekommen würden.[…]“ (Bundesverband Investment und Asset Management e.V. BVI, Offene Immobilienfonds FAQ Nr. 3, http://www.bvi.de/de/sonderseiten/faqs/oif/index.html).
Da bis zum Tage der Entscheidung zur Aufklärungsbedürftigkeit der Aussetzung der Anteilsrücknahme ersichtlich eine veröffentlichte gerichtliche Entscheidung fehlte, betrat das Landgericht insoweit Neuland. Im Hinblick auf die aktuellen Probleme der Anlageklasse –„jeder dritte Fonds steht vor dem Aus“ (Handelsblatt v. 22.05.2012, Das Ende der Immobilienfonds), kommt dem Urteil des Landgerichts eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Wenige Tage später erging zur selben Problematik ein Urteil einer anderen – ebenfalls – Fachkammer für Banksachen, die im Ergebnis ebenfalls zu einer Haftung der beratenden Bank kam (LG Frankfurt am Main, Urt. v. 30.03.2012 – 2/21 O 352/11).
Das LG Frankfurt am Main hatte sich mit der Klage einer Anlegerin zu beschäftigen, die im Juli 2008 nach einer Anlageberatung durch eine Bank für rund 15.000 Euro Anteile an einem offenen Immobilienfonds erwarb. Ende Oktober 2008 setzte die Fondsgesellschaft die Anteilsrücknahme zunächst bis September 2009 und dann nochmals für drei Monate aus. Im Januar 2010 veräußerte die Anlegerin ihre Anteile und realisierte dabei einen Verlust in Höhe von rund 10.000 Euro, den sie mit der Klage geltend macht. Die Klägerin reklamierte eine nicht anleger- und nicht objektgerechte Beratung durch die beklagte Bank. Die Beklagte verteidigte die Beratung als pflichtgemäß. Insbesondere könne eine gesetzliche Regelung, die dem Schutz der Anleger diene, kein aufklärungspflichtiger Umstand sein.
Das Landgericht hatte der Klage stattgegeben, weil gegen die Pflicht zur objektgerechten Beratung verstoßen worden sei. Die beratende Bank ist nach Auffassung des Landgerichts verpflichtet, Anleger über das Risiko eines Kapitalverlusts im Zusammenhang mit der Aussetzung der Rücknahme von Anteilen zu informieren, da es sich hierbei um ein dieser Anlageform grundsätzlich innewohnendes, dem Anleger regelmäßig nicht erkennbares Risiko handelt.
Das Landgericht geht von einer grundsätzlichen Aufklärungsbedürftigkeit hinsichtlich des Risikos der Aussetzung der Anteilsrücknahme aus. Begründet wird dies –unter Verweis auf § 31 Abs. 3 WpHG und § 5 WpDVerOV – damit, dass in der Aussetzung ein „naheliegendes, nicht unerhebliches Kapitalverlustrisiko besteht“. Nach der Begründung des Landgerichts bedarf es für die Aufklärungsbedürftigkeit auch keiner konkreten Anhaltspunkte für eine Realisierung der Gefahr im Zeitpunkt der Beratung.
Die Beklagte hatte geltend gemacht, dass die vom Gesetzgeber geschaffene Möglichkeit der Aussetzung der Anteilsrücknahme lediglich dem Schutz des Anteilsinhabers diene, weil so verhindert werden solle, dass das Fondsmanagement Fondsvermögen unter Zeitdruck und damit gegebenenfalls zu einem niedrigeren Preis veräußern müsse. Hierzu stellt das Landgericht fest, dass „ob und inwieweit eine Aussetzung sinnvoll und im Interesse gerade auch des nicht institutionellen Anlegers sogar vorteilhaft sein mag, die Tatsache, dass mit der Aussetzung für den Anleger ein naheliegendes, nicht unerhebliches Kapitalverlustrisiko bestehe, nicht berühre“. Demgegenüber will die 21. Zivilkammer des LG Frankfurt am Main in der oben erwähnten, kurze Zeit später veröffentlichten Entscheidung keine grundsätzliche Aufklärungspflicht hinsichtlich der Möglichkeit der Aussetzung der Anteilsrücknahme annehmen (LG Frankfurt am Main, Urt. v. 30.03.2012 – 2/21 O 352/11). Für die 21. Zivilkammer sollen erst die vor der dort entscheidungserheblichen Beratung im Jahre 2008 bereits erfolgten Aussetzungen der Anteilsrücknahmen und sonstigen aufgetretenen Probleme bei anderen offen Immobilienfonds – über die auch in der Presse umfangreich berichtet wurde – die Aufklärungspflicht begründen. Da es sich bei der Aussetzung der Anteilsrücknahme um ein grundsätzliches – immer bestehendes – Risiko handelt, überzeugt es nicht, wenn die Aufklärungspflicht erst damit begründet werden soll, dass es zeitlich vor der Anlageberatung in der relevanten Anlageklasse zu entsprechenden Risikorealisierungen kam. Dass eine gesetzliche Regelung (auch) dem Anlegerinteresse dienen soll, ändert nichts daran, dass die entsprechende Regelung spiegelbildlich auch mit einem Nachteil des Anlegers korrespondieren kann. Sicherlich wird aber die Aufklärungsbedürftigkeit durch in der Vergangenheit tatsächlich eingetretene Risiken geradezu greifbar.
Die grundsätzliche Aufklärungsbedürftigkeit kann nach Auffassung des Autors auch durch höchstrichterliche und instanzgerichtliche Rechtsprechung zu grundsätzlichen Liquiditätsrisiken gestützt werden. Das Risiko der Aussetzung der Anteilsrücknahme ist ein Liquiditätsrisiko. Auch wenn man unterstellt, dass ein Verkauf der Anteile ersatzweise über die Börse möglich ist, bringt diese Veräußerungsart Nachteile mit sich. Die Tatsache der Aussetzung der Anteilsrücknahme wird in den Kurs eingepreist und führt zu Abschlägen. Die Preisfeststellung erfolgt „nach Orderlage“ und „unter Orientierung am Net Asset Value (NAV)“, und kann „gegebenenfalls auch unterhalb des NAV erfolgen“. Teilweise ist der preisfeststellende Makler von der geltenden Liquiditäts- und Ausführungsgarantie sowie von der Einhaltung der Maximalspreads befreit (vgl. hierzu Hinweise der Börsen Hamburg-Hannover http://kurse.boersenag.de/fonds/portrait/DE0009805515?b=HAM). Die Spreads (Geld-Brief-Spanne) lagen bei einigen gehandelten offenen Immobilienfonds beispielsweise am 08.06.2012 an der Börse Hamburg-Hannover bei über 10%. Die beiden wichtigsten Handelsplätze für Fonds (Börse Frankfurt und Hamburg-Hannover) werben für den Fondshandel mit grundsätzlich maximalen Spreads von 1,5 bzw. 2,0%.
Die Frage, ob und gegebenenfalls zu welchen Bedingungen eine Anlage verkauft werden kann, ist für den Anlageentschluss des durchschnittlichen Anlageinteressenten von wesentlicher Bedeutung. Entsprechend hat der BGH auch im Fall der Eingehung einer Kommanditbeteiligung an einem geschlossenen Immobilienfonds die Pflicht des Anlageberaters bejaht, über die eingeschränkte Handelbarkeit der Anteile ungefragt aufzuklären (BGH, Urt. v. 18.01.2007 – III ZR 44/06). Auch beim Erwerb nicht börsennotierter Aktien besteht nach der Rechtsprechung diese Pflicht des Anlageberaters (OLG Oldenburg, Urt. v. 06.09.2002 – 6 U 66/02; OLG Jena, Urt. v. 22.02.2005 – 8 U 547/04 – zum Genussrecht) bzw. des Anlagevermittlers (BAG, Urt. v. 04.10.2005 – 9 AZR 598/04; KG Berlin, Urt. v. 20.12.2004 – 8 U 126/04; OLG Stuttgart, Urt. v. 28.04.2008 – 5U 6/08) oder des Emittenten (OLG Hamburg, Urt. v. 16.01.2004 – 14 U 135/03;OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 29.01.2004 – 3 U 211/01 – zur Aufklärung über den Umstand der fehlenden Börsennotierung).
Weiter muss darauf hingewiesen werden, dass es eine ordnungsgemäße Kursbildung aus Angebot und Nachfrage nicht gibt (OLG Hamburg, Urt. v. 16.01.2004 – 14 U 135/03) und eine Reaktion auf einen Kursverfall auch deshalb nicht möglich ist (OLG Jena, Urt. v. 22.02.2005 – 8 U 547/04). An die Aufklärung hierzu sind nach der Rechtsprechung strenge Anforderungen zu stellen (KG Berlin, Urt. v. 20.12.2004 – 8 U 126/04).“ Ausgehend von einer grundsätzlichen Aufklärungspflicht bezüglich einer eingeschränkten Handelbarkeit geht die Rechtsprechung letztlich nur in Extremfällen von einem Entfallen der Aufklärungspflicht aus. So soll für einen „Anleger, der aus religiösen Gründen (hier: islamisches Zins- und Spekulationsverbot) eine Kapitalanlage anstrebt, durch die keine Zins- und Spekulationsgewinne erzielt werden, keine ungefragte Aufklärung darüber geschuldet sein, dass die Handelbarkeit der von ihm erworbenen nicht börsennotierten Inhaberaktien eingeschränkt ist (OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.02.2009 – 17 U 181/07)“. Der BGH hat diese Würdigung des OLG Düsseldorf nicht beanstandet, weil der Anleger „in einer Moschee das Anlagegeschäft unter Übergabe eines hohen Barbetrags an […] getätigt hat, ohne die Geschäftsräume einer Bank oder eines Finanzdienstleistungsunternehmens aufzusuchen“ (BGH, Urt. v. 23.03.2010 – VI ZR 57/09).
Der von der Beklagten geltend gemachten Aufklärung durch Aushändigung schriftlicher Informationsunterlagen (Factsheet) wird vom Landgericht eine Absage erteilt, da die Informationsunterlagen nicht rechtzeitig übergeben wurden. Grundsätzlich sind schriftliche Unterlagen so rechtzeitig zu übergeben, dass der Anleger ausreichend Zeit zur Prüfung und Kenntnisnahme hat (BGH, Urt. v. 19.07.2011 – XI ZR 191/10; BGH, Urt. v. 11.05.2006 – III ZR 205/05). Zu Recht verweist das Landgericht darauf, dass zwar in Ausnahmefällen auch die Übergabe eines Verkaufsprospektes am Zeichnungstag noch rechtzeitig sein könne (OLG Frankfurt, Urt. v. 06.05.2011 – 19 U 293/10). Einen solchen Ausnahmefall, der darin liegen kann, dass der Anleger – aufgrund einer ihm erkennbar nur eingeschränkt möglichen Beratung über ein komplexes Anlageprodukt – die ihm nahe liegende Möglichkeit, auch nur die Risikohinweise des ihm vor Zeichnung zugekommenen Prospektes zu lesen, nicht wahrnimmt. Im hier interessierenden Fall erfolgte die Beratung unter Zuhilfenahme der Produktinformation, so dass die Klägerin davon ausgehen konnte, dass ihr in dem persönlichen Gespräch die relevanten Risikoinformationen erteilt wurden. Nach richtiger Auffassung des Landgerichts hätte der Berater, wenn er die erfolgte Risikoaufklärung erst unter Einbeziehung der schriftlichen Information als vollständig ansehen wollte, dies der Klägerin unmissverständlich deutlich machen müssen (vgl. zu Einzelheiten der Informationsvermittlung durch Übergabe schriftlicher Unterlagen Schröder, jurisPR-BKR 4/2012 Anm. 4).
Aufgrund der zahlreichen anhängigen und noch zu erwartenden Klagen in Bezug auf die offenen Immobilienfonds ist in Kürze mit weiteren – auch obergerichtlichen – Entscheidungen zu rechnen. Die Praxisrelevanz der Frage, ob im Hinblick auf die Möglichkeit der Aussetzung der Anteilsrücknahme eine grundsätzliche Aufklärungspflicht oder aber eine Aufklärungspflicht ab den ersten Aussetzungen in der Realität und damit quasi ab Erkennbarkeit der Risikorelevanz besteht, dürfte nicht allzu hoch sein. Grund hierfür ist die Verjährungsvorschrift des § 37a WpHG a.F.. Die ersten Aussetzungen der Anteilsrücknahme wurden schon im Jahr 2005 bekannt. Fahrlässige Falschberatungen aus davor liegenden Zeiträumen wären ohnehin verjährt. Die zahlreichen negativen Presseberichte zu den Problemen der offenen Immobilienfonds – spätestens seit 2008 – dürften den Banken, die auf die in Erscheinung getretenen grundlegenden Probleme dieser Anlageklasse nicht hingewiesen haben, zur zusätzlichen Haftungsfalle werden. Auf Negativberichterstattung ist im Rahmen der Anlageberatung nämlich hinzuweisen (BGH, Urt. v. 07.10.2008 – XI ZR 89/07). Nach Wegfall des § 37a WpHG a.F. zum 05.08.2009 steht zu erwarten, dass es im Zuge der nicht wenigen künftigen Prozesse zu interessanten Streitfragen zur dann geltenden kenntnisabhängigen Verjährung und den hierfür maßgeblichen Anknüpfungszeitpunkten kommen wird.“

Matthias Schröder

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